Der Kampf um Karlsruhe
Ann-Katrin Kaufhold und die Zukunft der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit
Einleitung: Eine Nominierung als Kampfansage?
Die Nominierung der Juristin Ann-Katrin Kaufhold für das Bundesverfassungsgericht durch die SPD hat im Juli 2025 eine Debatte entfacht, wie sie die deutsche Justiz selten erlebt hat. Für Kritiker ist sie nicht weniger als eine Provokation – eine gezielte Politisierung des höchsten deutschen Gerichts und eine Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO).
Die Auseinandersetzung ist keine Personalfrage, sondern ein Stellvertreterkrieg: über Neutralität, Ideologie, und die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht künftig noch als unparteiische Instanz wahrgenommen werden kann – oder als politisches Instrument.
Ein akademisches Profil mit politischer Schärfe
Kaufhold ist Professorin für Öffentliches Recht an der LMU München. Kein Richteramt, aber eine umfangreiche Publikationsliste: Klimarecht, Finanzregulierung, Medienpolitik – stets mit klarer Haltung. Kritiker sprechen von einem „ausgeprägten politischen Profil“, manche von einem aktivistischen Selbstverständnis, das mit der Rolle einer Verfassungsrichterin kaum vereinbar sei.
Einige ihrer Aussagen und Tätigkeiten wirken wie ein Gegenentwurf zum klassischen Bild richterlicher Zurückhaltung.
Brennpunkte der Kritik
1. Enteignung als Staatsziel?
Als Mitglied der Berliner Kommission zur Vergesellschaftung großer Wohnkonzerne plädierte Kaufhold 2022 für eine Umsetzung auch mit Entschädigungen unter Marktwert. Gegner werten das als Angriff auf das Eigentumsrecht – einen Tabubruch gegen Artikel 14 GG.
2. Technokratie statt Demokratie?
In mehreren Publikationen betont sie die Rolle unabhängiger Institutionen – Gerichte, Zentralbanken – beim Klimaschutz. Parlamente seien „zu träge“. Der Vorwurf: Kaufhold stehe für eine „Post-Voting Society“, in der gewählte Politik durch Expertengremien ersetzt wird. Eine subtile, aber gefährliche Erosion demokratischer Legitimation?
3. AfD-Verbot – und wer entscheidet darüber?
Im Juni 2024 forderte Kaufhold offen ein Verbot der AfD. Sollte sie im Zweiten Senat des BVerfG landen – genau jenem Gremium, das über Parteiverbote entscheidet –, stellt sich eine heikle Frage: Kann eine Richterin, die sich öffentlich für das Verbot ausspricht, später noch unvoreingenommen darüber urteilen?
Der Anschein der Neutralität – ein Verfassungswert in Gefahr
Was Verfassungsrichter auszeichnet, ist nicht ideologische Beliebigkeit, sondern das Vertrauen in ihre juristische Integrität und Unabhängigkeit. Kaufhold mag juristisch qualifiziert sein – doch ihr öffentliches Auftreten nährt Zweifel an ihrer Unparteilichkeit.
Die Redewendung „über jeden Selbstzweifel erhaben“ bekommt hier eine neue Dimension. Wer als Richterin den Eindruck erweckt, sich selbst über grundlegende Debatten der demokratischen Ordnung zu stellen, gefährdet nicht nur seine persönliche Glaubwürdigkeit – sondern die Autorität des gesamten Gerichts.
Karlsruhe im Parteienkampf
Dass Kaufholds Wahl bisher an der fehlenden Zweidrittelmehrheit scheitert, zeigt: Das Bundesverfassungsgericht ist zur politischen Kampfzone geworden. Wo früher Konsens Pflicht war, wird heute blockiert, taktiert, gekämpft.
Die Folge: Ein Gericht, das ursprünglich als „Gericht der Letztverantwortung“ gedacht war, droht in der öffentlichen Wahrnehmung zum Erfüllungsgehilfen parteipolitischer Lager zu werden.
Fazit: Am Scheideweg
Kaufholds Nominierung ist mehr als ein Streit um eine Personalie. Sie ist ein Lackmustest dafür, ob die deutsche Verfassungsgerichtsbarkeit ideologisch standhält oder sich vereinnahmen lässt.
Ob ihre Wahl eine Stärkung pluraler Perspektiven darstellt – oder eine Kampfansage an die FDGO –, hängt nicht nur von ihr ab. Sondern auch davon, ob die Politik bereit ist, das höchste Gericht als das zu respektieren, was es sein sollte: ein Ort der verfassungstreuen Verantwortung, nicht der ideologischen Vorherrschaft.